Das genaueste Bild des Protons
HERA-Experimente H1 und ZEUS veröffentlichen ihre kombinierte Datenanalyse
15 Jahre lang wurde an Deutschlands
größtem Teilchenbeschleuniger HERA gemessen, weitere acht Jahre wurden
die Daten ausgewertet und analysiert. Jetzt haben die Teilchenphysiker
der beiden großen HERA-Experimente H1 und ZEUS die weltweit präzisesten
Resultate über die innere Struktur und das Verhalten des Protons
veröffentlicht. Die Analyse zeichnet ein detailliertes Bild vom
brodelnden Teilchensee im Inneren des Teilchens.
Die Teams
beider Detektoren kombinierten für die Auswertung die Daten von mehr als
zwei Milliarden Teilchenkollisionen, die sie an DESYs Beschleuniger
HERA beobachtet hatten. Rund 300 Autoren von 70 Forschungsinstituten
haben intensiv an dieser Analyse gearbeitet. „Diese Publikation
beinhaltet die Kronjuwelen von HERA und wird auf lange Zeit das
präziseste Bild des Protons sein wird“, so DESY-Forschungsdirektor
Joachim Mnich. „Diese Ergebnisse sind nicht nur wichtig für das
Verständnis der grundlegenden Eigenschaften der Materie, sie sind auch
eine essentielle Basis für Experimente an Protonenbeschleunigern wie dem
LHC am CERN in Genf.In jedem einzelnen Atomkern unseres
Universums befinden sich Protonen. Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass
sie sich aus drei Quarks zusammensetzen – zwei up- und ein down-Quark –,
die durch die sogenannten Gluonen zusammengehalten werden, die
Trägerteilchen der starken Kraft. Dieses Bild zählt zum Wissen, das an
Schulen gelehrt wird. Das wahre Innenleben des Protons ist jedoch
wesentlich komplexer: Das Proton gleicht einer brodelnden Teilchensuppe,
in der Gluonen weitere Gluonen produzieren oder Quark-Antiquark-Paare
bilden, die sogenannten Seequarks, die wiederum alle sehr schnell wieder
miteinander wechselwirken.
Der Teilchenbeschleuniger
HERA (Hadron-Elektron-Ring-Anlage) wurde gebaut, um tief in das Innere
des Protons hineinzusehen und seine Struktur mit Hilfe von Elektronen
als Sonden genauestens zu untersuchen. Von 1992 bis 2007 wurden dazu
Protonen in einem 6,3 Kilometer langen, supraleitenden Beschleunigerring
auf fast Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, bevor sie mit in
entgegengesetzter Richtung beschleunigten Elektronen – oder deren
Antiteilchen, den Positronen – zusammenprallten. Elektronen und
Positronen gehören zur Elementarteilchensorte der Leptonen. Die Leptonen
drangen tief in das Proton ein und wurden jeweils an einem der
Bausteine des Protons gestreut. Das geschieht entweder über die
elektromagnetische oder über die sogenannte schwache Kraft, zwei der
vier fundamentalen Kräfte der Natur. Die Reaktionen wurden in den beiden
hausgroßen Vielzweck-Detektoren H1 und ZEUS gemessen.Dabei
analysierten die Wissenschaftler die Wahrscheinlichkeit für verschiedene
Verhaltensweisen dieser Lepton-Proton-Streuprozesse an beiden
Experimenten und verglichen ihre Ergebnisse mit der bestmöglichen
Beschreibung der Struktur des Protons, der Theorie der
Quantenchromodynamik (QCD). Ergebnis: Die HERA-Ergebnisse stimmen ideal
mit der QCD-Theorie überein und zeigen dabei, dass die Struktur des
Protons immer dynamischer wird,je höher die Energie ist, bei der sie
erkundet wird.
Als
weiteres Ergebnis können die HERA-Daten eindrucksvoll belegen, dass
sich die elektromagnetische und die schwache Kraft bei extrem hohen
Energien vereinigen, wie es vom Standardmodell der Teilchenphysik
vorhergesagt wird. Diese Erkenntnis stützt die Vermutung der Physiker
dass diese beiden Kräfte zwei Seiten derselben Medaille sind, obwohl die
elektromagnetische Kraft bei niedrigen Energien viel stärker ist als
die schwache Kraft. Dieses Ergebnis weist vielleicht am Ende sogar den
Weg zur Vereinheitlichung aller vier Grundkräfte der Natur.In
den HERA-Daten konnten die Physiker die beiden Kräfte anhand der Art der
Trägerteilchen identifizieren, die die Kräfte vermitteln: Während die
elektromagnetische Kraft durch das neutrale Photon vermittelt wird, hat
die schwache Kraft sowohl ein neutrales als auch zwei geladene
Trägerteilchen, die sogenannten Z- und W-Bosonen. Bei hohen
Kollisionsenergien zeigen die H1- und ZEUS-Daten, dass sich beide Kräfte
absolut gleich verhalten – ein deutlicher Hinweis auf die
elektroschwache Vereinigung.
„Durch
die Kombination der Messungen von beiden Detektoren erreichen wir die
höchstmögliche Präzision unserer Ergebnisse“, sagt H1-Sprecher Stefan
Schmitt (DESY). „Die kombinierten Daten profitieren nicht nur von der
verbesserten Statistik, sondern auch von einem besseren Verständnis
jeder einzelnen Messung und von der Interkalibration, die sich dadurch
ergibt, dass beide Wissenschaftlergruppen unterschiedliche Detektoren
und experimentelle Techniken für ihre Messungen nutzten.“ Allerdings ist
die Kombination der Daten aus genau diesem Grund enorm aufwendig – sie
wurden von unterschiedlichen Teilchendetektoren aufgezeichnet, mit
verschiedenen Techniken analysiert und über einem Zeitraum von 15 Jahren
gesammelt. „Jeder der Datenpunkte hat bis zu 20 Unsicherheitsquellen,
und bei der Kombination der Daten kann jede der 20 Quellen mit den
Unsicherheiten des nächsten Datenpunktes in Beziehung gebracht werden,
und alle diese Beziehungen müssen verstanden werden“, sagt ZEUS-Sprecher
Matthew Wing (University College London).Bereits im Jahr 2009
veröffentlichten H1 und ZEUS eine gemeinsame Arbeit über die Struktur
des Protons, das allerdings nur auf den Daten des HERA-Betriebs bis zum
Jahr 2000 basiert. Mit 600 Zitierungen bis heute ist es eine der am
häufigsten zitierten Publikationen auf diesem Gebiet. Die jetzt
erschienene Veröffentlichung basiert auf der vierfachen Anzahl an
Teilchenkollisionen und enthält auch Daten aus einem speziellen Betrieb
von HERA bei unterschiedlichen Teilchenenergien.
Dennoch
hinterlassen die Daten auch immer noch Rätsel bei der Überprüfung des
Standardmodells der Teilchenphysik. „Besonders bei einem niedrigen
Energieübertrag zwischen Elektron und Proton kann die als Bezugstheorie
verwendete Quantenchromodynamik unsere Messungen nicht ausreichend
beschreiben“, sagt Wing. „Das wird auf alle Fälle etwas sein, auf das
Theoretiker und Phänomenologen in Zukunft ein Auge werfen sollten.“Originalpublikation
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Im einzigartigen Teilchenbeschleuniger HERA wurden von 1992 bis 2007 zwei völlig verschiedene Teilchensorten zur Kollision gebracht. HERA besteht daher aus zwei Beschleunigern: dem supraleitenden Protonenring (oben) und dem normalleitenden Elektronenring (unten).
Im einzigartigen Teilchenbeschleuniger HERA wurden von 1992 bis 2007 zwei völlig verschiedene Teilchensorten zur Kollision gebracht. HERA besteht daher aus zwei Beschleunigern: dem supraleitenden Protonenring (oben) und dem normalleitenden Elektronenring (unten).
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Bei HERA genauestens vermessen: Das Proton besteht nicht nur aus drei Quarks (grün), die von Gluonen (Federn) zusammengehalten werden, sondern es enthält eine „brodelnde Suppe“ aus Gluonen und kurzlebigen Paaren aus Quarks und Antiquarks (orange).
Bei HERA genauestens vermessen: Das Proton besteht nicht nur aus drei Quarks (grün), die von Gluonen (Federn) zusammengehalten werden, sondern es enthält eine „brodelnde Suppe“ aus Gluonen und kurzlebigen Paaren aus Quarks und Antiquarks (orange).
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Der Detektor H1 verzeichnete von 1992 bis 2007 etwa eine Milliarde Kollisionen.
Der Detektor H1 verzeichnete von 1992 bis 2007 etwa eine Milliarde Kollisionen.
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Der 3600 Tonnen schwere ZEUS-Detektor (hier während Wartungsarbeiten geöffnet) war etwa 20 Meter lang.
Der 3600 Tonnen schwere ZEUS-Detektor (hier während Wartungsarbeiten geöffnet) war etwa 20 Meter lang.
Die
kombinierten Daten zeigen, dass die elektromagnetische Kraft (rot) und
die schwache Kraft (blau) bei hohen Energien (Q2) zu einer verschmelzen.
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